Skulptur ist ein Gegenüber

Ein Künstlerinnen-Gespräch über Haltung, Raum
und die Verbindung zum Wesentlichen.

Was geschieht, wenn Skulptur nicht nur im Raum steht, sondern mit uns lebt? In diesem Künstlerinnen-gespräch zur Ausstellungseröffnung bei MAMO INTERIORS in Ulm befragt mich die Interiordesignerin Maresa Mohilo-Bichay über meinen Weg zum Stein. Wir sprechen wir über Kunst als Resonanzraum, über das Vertrauen, das entsteht, wenn etwas bleibt – und über die besondere Beziehung, die sich zwischen Werk, Raum und Mensch entfalten kann.
Eine Einladung, Skulptur neu zu sehen.

Fotografie: Janine Eick

Maresa: Monika, der Titel der Ausstellung lautet „schlicht gelassen“. Was bedeutet er für dich – persönlich, künstlerisch, vielleicht sogar philosophisch?

Monika: Der Titel kam mir im Nachklang an unser Gespräch in den Sinn, das wir vorbereitend zur Ausstellung geführt haben. Erinnerst du dich? Wir saßen hier auf deinem Sofa, und Claudia war auch dabei. Wir haben über Kontraste gesprochen, über Anstrengung und Gleichgewicht, über sanfte Hingabe und eigenständiges Erblühen.
schlicht gelassen. kam mir dann als ein Wortpaar in den Sinn - und während ich es innerlich ausgesprochen habe, ist mir die Mehrdeutigkeit aufgefallen - je nachdem wie man es ausspricht. Ich mag es gerne, wenn in Worten verschiedene Bedeutungsebenen mitschwingen. Ich habe drei Bedeutungsebenen entdeckt: eine formale Ebene - das klingt dann mit der Betonung so: "schlicht gelassen". Dort bezieht es sich auf den Aspekt von Gestaltung, dass etwas reduziert und klar ist. Dann gibt es die emotionale Ebene, die klingt betont so: "schlicht gelassen". In dem Zusammenhang ist dann gelassen und ruhig sein gemeint. Und die dritte ist eine Handlungsebene, auf der werden beide Worte gleichermaßen betont. Und es meint dann etwas bewusst sein zu lassen, Loszulassen.


Maresa:
Gab es einen prägenden Moment, der dich zum Material Stein geführt hat?
Monika: Ich habe in der Oberstufe in der Schule mit einem Speckstein gearbeitet, und das hat mir so eine Freude gemacht, dass ich Bildhauerin werden wollte. Nach dem Abi war ich dann mit meinem ersten Auto, einem 2CV, mit einer Freundin nach Portugal unterwegs. Sie hatte damals einen Freund, der wiederum einen Freund in Portugal hatte, den wir dort besucht haben. Er hatte auf seinem Gelände verschiedene Steinhäufen und hat mir zwei Stücke Portugiesischen Marmor geschenkt. Auf dem Rückweg war mein 2CV dann etwas tiefer gelegt . ..


Maresa: Du arbeitest mit Stein – einem sehr archaischen, schweren Material – und schaffst damit etwas unglaublich Leichtes. Was interessiert dich an dieser Spannung?
Monika: Mich interessiert daran die Haltung die ich kultivieren darf, um dem Harten mit Weichheit, der Schwere mit Leichtigkeit zu begegnen. Das hat mit viel mit Achtsamkeit zu tun, mit Gegenwärtigkeit, mit Sanftmut und Hingabe. Am deutlichsten durfte ich das in der Arbeit an einer großen Skulptur aus Diabas lernen. Diabas ist ein vulkanisches Gestein, es ist über 400 Millionen Jahre alt, sehr dicht und kompakt. Ich schleife meine Skulpturen ja von Hand, und das ist besonders beim Diabas ein langer Prozess. Da gab es dann einen Moment, da wusste ich auf einmal, dass es nicht um Geduld geht, wie ich bisher dachte. Sondern um Sanftmut. Damit wird es dann leicht. Und weich. Und um nochmal auf die Frage der Spannung zu kommen - wenn ich die Haltung, die ich beschrieben habe, mit einem Wort benennen würde, dann wäre es 'Mitte': aus meiner eigenen Mitte heraus agieren.


Maresa: Stein gilt als etwas Ruhiges, Beständiges, sogar Archetypisches, etwas, das bleibt, trägt, schützt. Was glaubst du, löst dieses Material unbewusst im Menschen aus?
Monika: Stein ist ja ein Material, das überall auf unserem Planeten ist. Stein ummantelt unsere Erde. Ist also uralt, Urmaterie. Wir bewegen uns ständig darauf. Bauen damit und darauf. Und in ganz frühen Zeiten lebten die Menschen in Höhlen im Stein - und schufen ihre ersten Werkzeuge aus Stein. Da gibt es also eine sehr lange Verbindung zu diesem Material. Eine sehr schöne Verbindung, die deine Frage beantwortet, ist auch die Wortherkunft von Materie. Es kommt vom lateinischen Mater, was Mutter bedeutet. Und vielleicht liegt ja darin dies tiefe Gefühl von Getragensein und Schutz zugrunde.


Maresa: Woran erkennst du, wann eine Form „fertig“ ist?
Monika: Das lässt sich eigentlich nur erfühlen. Es hat zum einen etwas mit dem taktilen Fühlen zu tun - ich schleife die Skulpturen ja von Hand, und da streiche ich immer prüfend über die Flächen und die Formverläufe und prüfe sie auf Stimmigkeit. Zum anderen stellt sich ein Gefühl von fertig sein ein, das so eine innere Resonanz ist - wenn sie Form etwas eigenständig Wesenhaftes ausstrahlt, eine Lebendigkeit, eine Vollständigkeit. Eine fertige und perfekte Form gibt es ja in dem Sinn gar nicht. Ich denke, es geht im Wesentlichen um Stimmigkeit.

Maresa: Deine Formen erinnern oft an Samenkapseln, Wasserlinien oder Landschaften – ist das bewusst? Oder entsteht das intuitiv?
Monika: Die Formen entstehen intuitiv. Ich arbeite aus der Bewegung heraus, gehe also mit meiner inneren Bewegung in eine Bewegung des Steins, und dann ist es wie ein Eintauchen in einen Formfluss. Und eine sehr innige Verbindung mit dem Stein, in der auch so eine stille Zwiesprache stattfindet.

Maresa: Was macht eine Skulptur mit einem Raum – und mit dem Menschen, der sich in diesem Raum aufhält?
Monika: Eine Skulptur ist ja so wie ein Mensch auch dreidimensional - und so nimmt sie sich erst mal Raum im Raum. Je nachdem, was sie für eine Größe hat, welche Farbe ihr Material hat und welche Form sie hat, wirkt sie in den Raum hinein. So wird zum Beispiel eine stehende und sehr vertikal ausgerichtete Skulptur möglicherweise Standfestigkeit vermitteln, oder Ausrichtung, und den Menschen entsprechend beeinflussen. Eine liegende Form, die organisch fließend ist, wird eher Bewegung und Verspieltheit ausstrahlen und den Menschen dorthin entsprechend beeinflussen. Es hat sehr viel mit der Form und dem Material zu tun – so wie bei allem, womit wir unsere Räume gestalten.

Maresa: Kann eine Skulptur so etwas wie ein psychologischer Anker sein – etwas, das Menschen beruhigt, stärkt oder erinnert?
Monika: Ja, auf jeden Fall! Eine Skulptur kann in verschiedene Richtungen wirken - so wie ich es eben schon ein bisschen beschrieben habe. Man kann das natürlich rein intuitiv wählen oder ganz bewusst aussuchen, was für ein inneres Bild man gerne stärken möchte, und woran man sich erinnern möchte. Das hat dann mit einer bewussten Verbindung zu tun. Und hat damit zu tun, was ein Mensch braucht, der sich mit der Skulptur umgibt. Was für ihn wichtig ist. Wenn es jemandem zum Beispiel wichtig ist, sanft und anmutig zu sein und er diese Haltung immer mehr kultivieren und auszustrahlen möchte, dann wird dieser Mensch sich so oft es geht damit beschäftigen, sich dies bewusst machen. Es gehört dann zu den wichtigen Werten dieses Menschen. Wenn er sich dann mit einer Skulptur umgibt, die genau diese Werte vermittelt und diese Haltung ausstrahlt, dann wird er ständig bestärkt und erinnert. Diese Marmorskulptur zum Beispiel, sie trägt den Titel 'ohne Weiteres (Anmut, stille)'. Sie könnte solch einen Anker setzen. Eine andere Skulptur würde einen ganz anderen Anker setzen. Zum Beispiel diese Skulptur aus dem dunklen Kelheimer Auerkalk. So wie sie jetzt steht, hat sie etwas sehr leichtes und verspieltes. Du weißt ja - sie kann auf verschiedene Weisen stehen, und strahlt dann immer etwas anderes aus. Sie könnte also bestärkend für einen Menschen sein, der sich an etwas Leichtes, Spielerisches erinnern möchte. Und darin auch aktiv sein will. Oder als drittes Beispiel noch diese Skulptur aus Fränkischem Jura. 'Landgang' habe ich sie genannt. Die Skulptur macht so eine tastende, aber zielstrebige Landebewegung – wie ein Wesen, das aus dem Ei schlüpft oder sich zum ersten Mal vom Wasser auf das Land bewegt. So hat sie ihren Titel bekommen. Und symbolisch gesehen macht sie den Moment eines Übergangs sichtbar. So kann die Form dem Betrachter immer wieder in Phasen eines Aufbruchs oder Wendepunktes das Vertrauen geben, dass alle Kraft und das Wissen um den nächsten Schritt tief in ihm liegt - und dass jeder Schritt golden sein kann.

Maresa: Viele haben Respekt vor Kunst im Wohnraum – besonders vor Skulptur. Was würdest du sagen: Wie kann man mit Skulptur leben?
Monika: Am besten indem man mit ihr lebt. Sie einbindet. Und auch spielerisch mit ihr umgeht. Ich glaube, viele Menschen haben eine gewisse Scheu vor Skulpturen – weil sie sie mit Museen oder weißen Sockeln in Galerien verbinden. Dabei ist Skulptur etwas ganz Lebendiges. Man kann ganz selbstverständlich mit ihr leben – wie mit einem Lieblingsstück, das einem über die Jahre ans Herz wächst.
Eine Kundin hat mal den schönen Satz gesagt: „Wir leben so gerne mit deinen Skulpturen.“ Und das ist für mich zu einem Schlüsselbegriff geworden. Es geht nicht um Dekoration, sondern um Beziehung, um Verbindung. Viele meiner Kundinnen schicken mir später Bilder oder kleine Nachrichten – wenn das Licht gerade besonders schön fällt, oder die Skulptur einen neuen Platz gefunden hat und von dort aus nochmal ganz anders wirkt.
Skulpturen brauchen keine Sockel. Sie dürfen auf einem Fenstersims stehen, auf einem Sideboard, auf dem Tisch. Auch im Regal, zwischen Büchern oder Pflanzen. Sie dürfen mit dem Raum leben. Vielleicht ist gerade das der Zauber – dass sie kein fertiges Statement sind, sondern etwas, das mitschwingt, sich verändert und dabei ganz leise etwas in uns berührt.

Maresa: Ein zentrales Thema deiner Arbeit scheint das Weglassen zu sein. Was braucht es, damit Reduktion nicht leer wirkt – sondern erfüllt?
Monika: Reduktion ist für mich kein Weglassen im Sinne von Verzicht, sondern ein Konzentrieren auf das Wesentliche. Fokus. Volle Gegenwärtigkeit im Formprozess. Denn darin und damit wird die Form geschärft, Stück für Stück geklärt. Es ist wie eine Durchdringung der Form, die in diesem Prozess geschieht. Und dadurch erfüllt sie sich.

Maresa: Wie gelingt es dir, Spannung zu erzeugen, ohne große Geste – ganz im Stillen?
Monika: Ich denke, da kann ich mich auf das eben Gesagte beziehen - auf die Gegenwärtigkeit. Das ist eine Haltung, mit der ich in den Arbeitsprozess gehe. Darin gibt es im besten Fall keine Erwartung, keine Bewertung, sondern eine völlige Hingabe. Anfangs hattest du ja auch die Frage gestellt, was mich an der Spannung zwischen dem Schweren und dem Leichten interessiert, und ich habe mit der 'Mitte' geantwortet. Die brauche ich hier auch ganz deutlich - die Arbeit geht von einem Zentriertsein aus, sie geschieht aus meiner eigenen Mitte heraus. So habe ich sozusagen innerlich die ganze Spannung schon durchlebt und durchwirkt und ausgeglichen - und sie zeigt sich im Außen, in der Skulptur dann ohne große Geste, sondern wirkt still.

Maresa: Gibt es ein Werk in dieser Ausstellung, das dir besonders nahe ist?
Monika: Ich würde für den Moment dies Werk hier wählen - denn es ist dem Titel der Ausstellung sehr nahe. Der Titel ist 'vom Werden und vom Sein (eigen Sinn)'. Die Skulptur ist aus Fränkischem Jura und Anfang letzten Jahres entstanden, da habe ich eine Werkreihe mit dem Titel 'vom Werden und vom Sein' gemacht. Alle Skulpturen dieser Reihe sollten etwas 'Belassenes' in ihre Form integrieren - etwas, was auf die Form oder Funktion des Steins verweist, bevor ich ihn bearbeitet habe. Hier kann man dieses Stück bruchraue Fläche noch sehen - eine sogenannte 'Kruste'. Sie erinnert an das Unbearbeitete, das Ursprüngliche – und genau das wollte ich in dieser Reihe mit in die Form hineinnehmen. Es geht um das Spannungsfeld zwischen dem, was schon ist, und dem, was daraus wird – zwischen Werden und Sein. An dieser Stelle ist der Stein in einem 'Lager' auseinandergegangen, und die Kruste hat immer eine ganz besondere Farbigkeit aufgrund der Ablagerungen und Minerale, die sich dort gesammelt haben. Die Skulptur hat ihren Titel bekommen, weil sie sich dem, was ich wollte, total widersetzt hat. Ich hatte eine Idee, die ich von Anfang an irgendwie gut fand - eine dynamische Form, ein Dreieck betont, was ich sonst nie habe, und noch mehr. Zu viel zu Wollen funktioniert aber einfach nicht. Das Lassen hat gefehlt. Und damit auch das gelassen sein. Im Arbeitsprozess wurde es aber so deutlich, was zu tun ist - sobald ich von meinen Ideen losgelassen habe. Und nun hat die Skulptur wirklich einen 'eigen Sinn' durchgesetzt. Sie ist auch völlig unbeeindruckbar. So wie sie hier auf dem Boden liegt, so habe ich sie auch lange Zeit bei uns im Wohnraum gehabt. Und immer mal wieder auch vergessen, dass sie da liegt. Wenn ich dann an sie stoße, dann bewegt sie sich, dreht ein bisschen, pendelt sich wieder ein, und ich merke es höchstens daran, dass ich eine Berührung an meinem Bein gespürt habe . ..

Maresa: Was wünschst du dir, dass Besucher:innen mitnehmen – im Gefühl, im Denken?
Monika: Ich wünsche mir, dass sie eine Ruhe und Zuversicht mitnehmen. Zuversicht im Sinne von einer Art Verlässlichkeit, die im eigenen Inneren ruht. So etwas wie einen lächelnden Anker, samtig leicht und sanft.

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schlicht gelassen.