Thinking by Making

International Woman Sculpture Talk
mit Isabel H. Langtry (UK) und Sarah Monk (I)
zum Internationalen Tag der Skulptur am 26. April 2025

Jeweils am letzten Samstag im April, dieses Jahr am 26. April 2025, findet weltweit der International Sculpture Day statt – ein Tag, an dem Skulptur im Mittelpunkt steht und Künstler*innen rund um den Globus ihre Türen öffnen, Werke präsentieren und in Dialog treten. Ich erinnere mich noch genau, wie ich vor nunmehr sechs Jahren auf den International Sculpture Day aufmerksam wurde - und wie begeistert ich war über die Vielfalt des bildhauerischen Ausdrucks auf der ganzen Welt. Ein Jahr später lud ich selbst ein. Mich interessierten vor allem die Frauen, die mit Stein arbeiten. Die Bildhauerinnen auf der ganzen Welt.

In diesem Jahr kamen wir nun zum fünften Mal zusammen, diesmal in einer sehr kleinen und vertrauten Runde des so benannten `Stone and Sculpture Circle´: Isabel H.Langtry (UK), Sarah Monk (I) und ich. In unserem Gespräch hatten wir ein besonderes Thema im Fokus: „thinking by making“ – Denken durch Machen.

durch Klick auf das Bild zum Gespräch auf YouTube


aus meinen Vorbereitungen
Ich erinnere mich an einen Tag im Atelier, an dem ich mit einem Stein gearbeitet habe, der von Beginn an bruchgefährdet war. Ich hatte einen Gedanken, zu dem ich arbeiten wollte: 'Wer sich selbst vertraut, verliert die Angst vor der Unsicherheit.'

Und dann, irgendwann, brach er tatsächlich. Ein Riss, plötzlich – und zwar an einer Stelle, an der ich es überhaupt nicht erwartet hatte. Mitten durch das, was ich gerade aufgebaut hatte. Im ersten Moment war da Überraschung, aber auch Frust, Enttäuschung. Ich wollte den Stein weglegen, die Arbeit unter 'nicht materialgerecht' beenden. Doch ich blieb. Ich legte die Stücke nebeneinander, sah sie an, fühlte sie. Und genau in diesem Moment begann das Denken – nicht im Kopf, sondern im Tun. Ich drehte die Teile leicht gegeneinander, spürte, dass da etwas Neues entstehen konnte. Etwas, das ich nie geplant hätte.

Für mich ist das thinking by making: Nicht ein Denken, das kontrolliert, sondern ein Denken, das antwortet. Das den Bruch nicht als Scheitern sieht, sondern als Anfang einer anderen Form.

Ich glaube, das kennen viele – nicht nur wir als Bildhauerinnen. Auch im Leben ist es oft das Ungeplante, das uns weiterbringt. Wir denken mit dem, was uns begegnet. Mit dem, was uns berührt. Mit dem, was zerbricht – und was dann neu zusammengesetzt werden will.

In der Skulptur wird das sichtbar. Aber vielleicht ist es überall so: Wir finden Klarheit nicht vor dem Tun, sondern im Tun. Und manchmal – wenn wir Glück haben – denkt die Form mit uns.

 

Bei einer anderen Arbeit – ich nenne sie „Stirnkuss“ – ging es nicht um Bruch, sondern um Klarheit und wo diese ihren Ursprung hat. Die Form entstand sehr intuitiv, und von Anbeginn erinnerte sie mich an ein fliegendes Wesen, das von oben einen Überblick hat über das Große Ganze und gleichzeitig immer wieder etwas aus der Ferne fokussieren kann. Und doch blieb da eine Unruhe und ein Feststecken im Denken. Erst durch das behutsame Platzieren eines kleinen goldenen Tropfens, direkt dort, wo ich bei der Skulptur die Stirn und das dritte Auge spürte, wurde mir klar, worum es eigentlich ging: um diese Geste des Stirnkusses, die ein Gefühl von Geborgenheit, Vertrauen und Verbundenheit ausdrückt. Im Zusammenhang mit den Stirnchakra verweist sie auf ein höheres Bewusstsein, auf ein inneres Wissen und das Vertrauen in die innere Führung.

In diesem Fall war das thinking by making kein lautes Suchen, sondern ein leises Hinhören.

Ich glaube, es gibt viele Formen dieses Denkens. Manchmal entsteht es durch Reibung, durch Widerstand. Und manchmal durch Reduktion – durch das Weglassen dessen, was zu viel ist. Manchmal durch das Hinzufügen von etwas ganz Kleinem.

Und auch das kennen wir aus dem Leben: Dass wir oft nicht mehr wissen müssen – sondern stiller werden, damit das Wesentliche auftauchen kann.

 

Eine meiner Arbeiten heißt „Geburtsflug“. Der Titel kam mir erst ganz zum Schluss, aber rückblickend war er die ganze Zeit da.

Die Form ist einerseits geprägt von einem Ausdruck von Geborgenheit – warm, rund, geschützt – und gleichzeitig ist da dieser Moment des Abhebens, der nur entstanden ist, weil ich auf einen Metalldübel im Material gestoßen war. Ein Verbindungsteil, das ich herauslöste. Das Abheben wurde also erst möglich in dem Moment, in dem etwas sich löst von dem, was es einmal zusammengehalten und getragen hat.

Beim Arbeiten an dieser Skulptur wurde mir klar: das ist ein existenzieller Vorgang. Wie das Durchtrennen der Nabelschnur. Sehr persönlich – ja. Und sehr universell. Und auch gesellschaftlich.

Wir leben in einer Zeit, in der viele gewohnte Sicherheiten brüchig werden. Systeme, die uns scheinbar getragen haben – ökonomisch, sozial, ökologisch – tragen nicht mehr wie zuvor. Und wir spüren: Wir müssen uns lösen, ohne schon zu wissen, wohin.

Im künstlerischen Prozess kann ich das erforschen. Nicht als intellektuelles Konzept, sondern ganz konkret: im Material, in der Geste, in der Entscheidung für ein „Jetzt ist es dran“.

Thinking by making heißt für mich in diesem Kontext: dem Ungewissen Form geben. Nicht warten, bis wir alles verstanden haben – sondern anfangen zu gestalten.

Vielleicht liegt genau darin eine Kraft der Kunst: dass sie uns erlaubt, im Unklaren schöpferisch zu sein – und darin etwas zu ahnen, was uns gesellschaftlich noch fehlt: Mut zum Übergang.

Vielen Dank an Isabel H. Langtry und Sarah Monk für das belebende Gespräch!

mehr zu Isabel H. Langtry hier: Website und Instagram
und zu Sarah Monk und dem Materially Speaking-Podcast hier: Website und Instagram

Weiter
Weiter

poetische Matinee